Cloud-Lösungen sind in: Digitalisierte Daten in App-basierten Wolkenschlössern sollen Prozesse automatisieren und effizienter machen. Die EMO Hannover 2017 zeigt gangbare Wege und gibt praxistaugliche Navigationshilfen auf der Datenautobahn zur smarten Fabrik der Zukunft.
Eine „smarte Systemoptimierung, die Fehler in verketteten Produktionsprozessen erkennt und ihre Ursachen sowie die Fortpflanzung automatisiert aufzeigt“, präsentiert das Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) auf der EMO Hannover 2017. Wie das in der Praxis funktioniert, erläutert Felix Georg Müller, Fachthemenleiter Autonome Fertigungssystemoptimierung: „Mit der smarten Systemoptimierung erfolgt eine technisch detaillierte und zugleich automatisierte Auswertung von Stillstandsursachen und Fehlerzusammenhängen in einer Produktionslinie. Sobald die Produktion läuft, werden aus allen Prozessschritten zeitsynchron Daten an ein Analysetool übermittelt.“ Dieses kann nun mit den am Fraunhofer IPA entwickelten Algorithmen Rückschlüsse ziehen und die Informationen in gewünschter Form aufbereiten.
Datengetriebene Produktionsoptimierung
Als Datenbasis dienen Zustands- und Prozessinformationen aus allen technischen Teilschritten der gesamten Prozesskette. Hieraus kann das Analysetool kontinuierlich und echtzeitnah herausarbeiten, wo Fehler oder Stillstände auftreten oder erst durch das Zusammenspiel mehrerer abweichender Faktoren in verschiedenen Prozessschritten entstehen. Im Gegensatz zur klassischen OEE erhält der Anwender sofort eine Ursachenzuordnung. (Anm. d. Red.: OEE – Overall Equipment Effectiveness = Gesamtanlageneffektivität – ist ein Maß für die Wertschöpfung einer Anlage und eine Kennzahl, die hilft, die Produktivität, die Rentabilität und die Gesamteffektivität von Produktionsanlagen im Kontext mit dem Fertigungsprozess zu ermitteln, zu überwachen und zu verbessern.)
Der Anwender sieht beispielsweise, welcher Prozess den anderen blockiert und erkennt, wo der Auslöser sitzt. Weiterhin ist es möglich, die Fehlerbehebung zu priorisieren, da der reale Engpass der Produktionslinie zu jeder Zeit berechnet wird. Dies basiert auf allen aktuell detektierten Fehlerbildern, Kurzstopps und Ausschussraten und spiegelt somit den Echtzeitblick auf eine Anlage wider.
Datenquellen sind entweder zusätzlich installierte Sensoren, wie etwa smarte Kameras. Oder es kommt, falls keine Prozessinformationen vorliegen, der am IPA entwickelte Maschinendaten-Logger zum Einsatz. Dieser ist heute bereits in der Lage, Massendaten aus den Industriesteuerungen Siemens S7-1500, Beckhoff CX1020 und Mitsubishi Q Series an das Analysewerkzeug zu liefern. Da somit alle relevanten Variablen im Millisekundentakt verfügbar sind, kann das Betriebsverhalten erlernt werden. „Damit machen wir gängige Maschinensteuerungen Big-Data-fähig und können bereits vorhandene Maschinendaten in das Analysemodell integrieren“, meint IPA-Experte Müller. „Mit unserem Tool konnten wir bei bereits hoch standardisierten Maschinen von Automobilzulieferern zwischen sechs und zehn Prozent Zykluszeitreduktion erzielen und die dauerhafte Einhaltung des Optimums überwachen.“
Basis dieser datengetriebenen Produktionsoptimierung ist die permanente und extrem detaillierte Analyse des Anlagenverhaltens und aller beteiligten Einzelprozesse einer Produktionslinie. Dies kann nicht manuell, sondern aufgrund des extrem hohen Datenverarbeitungsvolumens nur automatisiert erfolgen. So werden die Fehlerursachen nicht mehr ausschließlich im dynamischen Linienverhalten gesucht, sondern auch etwa per Anomaliendetektion in den Prozessdaten aller Einzelprozesse. Damit können Fehler noch präziser ermittelt und eliminiert werden. Mit konventionellen Ansätzen wäre ein Prozessoptimierer allein mit der Sichtung eines Datensatzes und dessen Analyse stunden- oder sogar tagelang beschäftigt und könnte doch immer nur einen Zeitausschnitt untersuchen – nämlich den, den der Datensatz repräsentiert.
Auf der EMO Hannover 2017, so Müller abschließend, „können die Besucher live erleben, wie die datengetriebene Produktionsoptimierung funktioniert. Die Gäste an unserem Stand erleben mit unserer Minifabrik, wie dynamische Engpässe, Abhängigkeiten in Produktionslinien und Anomalien erkannt und ausgewertet werden. Eine vollständige Transparenz über komplexe Produktionslinien in Echtzeit ist so jederzeit möglich.“
Prozessketten im Automobilbau
Prozessautomatisierung war auch Thema der Tagung „Prozesskette im Automobilbau“ (PiA) am 03. und 04. Juli 2017 in Bielefeld. Dort wurde unter anderem das Projekt HL-Pro-Ket vorgestellt. Was genau an dem „integrierten Ansatz“ neu ist, erläutert Patrick Kuhlemann, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen (IFW) der Leibniz Universität Hannover: „Zunächst ist das neuartige Drehwalzverfahren zu erwähnen. Dazu wurde ein hybrides Drehwalzwerkzeug entwickelt, das das konventionelle Drehen und Festwalzen in einem Werkzeug vereint. Ein weiteres wichtiges Ergebnis stellen die Fräswerkzeuge dar, die die Prozessoperationen Schlichten, Schruppen und Fasen vereinen und somit die Effizienz steigern. Die genannten Prozesse ersetzen die konventionellen, umformenden Prozesse und machen die nach dem Härten bislang notwendige Hartfeinbearbeitung unnötig.“ Das Drehwalzen ermöglicht eine Vorkompensation des Härteverzugs, wodurch sich die Prozesskette nahezu halbiert. Zudem wird die Flexibilität massiv gesteigert, da bei einem Variantenwechsel lediglich der NC-Code angepasst und keine Umformmaschinen umgerüstet werden müssen.
Die „ganzheitliche Prozesskettenregelung“, sagt der IFW-Wissenschaftler, „ist maschinenübergreifend. Dies bedeutet, dass das Dreh-Fräszentrum sowie die Induktivhärtemaschine miteinander verknüpft sind und sich durch prozessintegrierte Geometriemessungen aufeinander abstimmen.“ Nähert sich ein Bauteil nach dem Härteprozess einer Toleranzgrenze, wird beim nachfolgenden Bauteil während der Weichbearbeitung die Vorkompensation direkt angepasst. Damit wird maschinenübergreifend die Fertigungsqualität autonom sichergestellt.
Getrieben durch die steigende Anzahl individueller Produkte, so Patrick Kuhlemann, „erwarten wir auf der EMO Hannover 2017 einen klaren Trend zur Optimierung von Fertigungsprozessen durch integrierte und innovative Prozessregelung. Die Optimierungskosten pro Bauteilvariante sollen somit den Kosten der effizienten Massenproduktion angeglichen werden.“ Das IFW wird eine „fühlende“ Werkzeugmaschine vorstellen. Durch die geschickte Integration der Prozessregelung und die Ausnutzung der zur Verfügung stehenden Vielzahl an Sensorsignalen ist die Maschine in der Lage, Geometrie- oder Formabweichungen zu detektieren, vorwegzunehmen und somit autonom zu kompensieren: „Mit unserem Demonstrator präsentieren wir damit ein innovatives Vorgehen, das die Herausforderung der steigenden Variantenvielfalt effizient meistert.“
Zusammenspiel der Prozesse entscheidend für die Produktivität
Für Gerald Mies, Präsident Milling & Factory Automation der FFG-Werke GmbH, Eislingen, „war und ist entscheidend für eine gut funktionierende Fertigung die Produktivität der Anlagen“. Hier werde in Zukunft viel über das ideale Zusammenspiel von Bearbeitungs-, Automations- und Montageprozessen entschieden. Dazu brauche es Anbieter, die Planung und Konstruktion über die gesamte Anlage verstehen und aus einer Hand liefern können. Dies biete Möglichkeiten zur flexiblen Anpassung von Komponenten und Abläufen noch im Entwicklungsprozess, was wiederum perfekt abgestimmte Bearbeitungs- und Automationszyklen und somit maximale Produktivität gewährleiste.
Zukünftig wird dabei der Datenaustausch zwischen Automation, Bearbeitungsmaschinen und Peripherie eine immer größere Rolle spielen. „Diesen optimieren wir dadurch“, so Mies, „dass wir die Spezialisten für CNC-Bearbeitung und Automation in unserem Haus haben und so die Schnittstellen bündeln und exakt an die spezifischen Anforderungen anpassen können. Neben der Optimierung der Anlageneffektivität und der Betriebskosten spielen dabei auch neue Automationskonzepte eine Rolle, die im Verbund Maschine und Automation gedacht werden müssen. Zur EMO Hannover 2017 „werden wir dazu neue Ideen und Visionen vorstellen“. So werde man eine „beispiellose Gesamtschau der modernen Fertigungstechnik mit bahnbrechenden digitalen Lösungen“ präsentieren.
Was genau den Besucher erwartet, beschreibt Mies so: „Wir bieten praktisch jedem, der sich mit mechanischer Fertigung und Automation beschäftigt, Impulse für seine eigene Fertigung.“ Die Bandbreite reicht von Standardmaschinen bis zur hochproduktiven Serienfertigung in Turnkey-Systemen und auf Rundtaktmaschinen. Ebenso werden die Bereiche Großteilebearbeitung mit integrierten additiven Technologien und nicht-spanenden Prozessen gezeigt. „Wir wollen mit unserem Auftritt den Besuchern zeigen, dass sie bei uns einen Mehrwert finden, den sie bisher von keinem Anbieter erwarten können.“
Digitalisierung massiv vorantreiben
Wie die Salacher Emag-Gruppe die „Digitalisierung ihrer Produktionstechnologie für die Etablierung von intelligenten Fabriken massiv vorantreiben will“, erläutert der Leiter Marketing Oliver Hagenlocher: „Die Digitalisierung ist für uns bereits Realität. Die Welt ist heute schon digital, daher brauchen wir auch heute schon Lösungen.“ Zum einen gehe es also darum, wie bisherige Anwendungen für die digitale Welt optimiert und zugänglich gemacht werden können. Zum anderen müsse geklärt werden, welche Anforderungen dies für die Produktion von morgen mit sich bringt.
Neben der Entwicklung von Softwarelösungen will Emag auch die entsprechende Hardware – in Form von Werkzeugmaschinen und Automationslösungen – für die Smart Factory fit machen. Ein Beispiel dafür sind die modularen Maschinen und das dazu passende modulare Automationskonzept Trackmotion. Die Kombination erlaubt den Aufbau von Fertigungslinien nach dem Baukastenprinzip. Bearbeitungsprozesse werden in einfach zu handhabende Teilprozesse zerlegt und auf den entsprechenden modularen Maschinen eingerichtet – was beispielsweise in der Kettenradfertigung bereits praktiziert wird. Dabei werden mit dem Automationssystem Trackmotion die modularen Maschinen sehr einfach und effizient verkettet.
Mit einer einheitlichen Usability der Software wollen die Salacher „Steuerung, Überwachung und Analyse der Produktion vereinfachen“. In der Praxis, so Hagenlocher, funktioniere das so: „Die Usability oder Userexperience (UX) sind Entwicklungen innerhalb der Digitalisierung und beschreiben die Erfahrungen, die ein Endanwender mit einer Software macht. Gerade im Bereich der Mobile-Apps ist eine positive UX maßgeblich am Erfolg einer Software beteiligt.“ Der Anwender erwarte heutzutage nicht nur eine inhaltlich gute Software, sondern auch eine intuitive Bedienung, die einen schnellen Start ohne aufwändige Schulung ermöglicht.
„Wir freuen uns darauf“, so der Chef des Marketing, „Kunden und Interessenten unsere neuen Lösungen auf der EMO Hannover 2017 zu präsentieren und im direkten Austausch weitere Ideen und Meinungen zu sammeln, um unsere Produkte noch stärker auf die Anforderungen in der Industrie zuschneiden zu können“.
Lösungen in der Cloud und an der Maschine
Ein Werkzeug zur Prozessoptimierung ist auch die Tool Lifecycle Management Strategie (TLM) der Tübinger TDM Systems GmbH. Geschäftsführer Peter Schneck erklärt, welche Bedeutung diese Strategie im Hinblick auf die Fabrik der Zukunft hat: „Vor zwei Jahren haben wir mit dem Aufsetzen dieser Strategie die klassische Werkzeugdatenverwaltung auf eine höhere Stufe gehoben. So ist das Alleinstellungsmerkmal unserer Software, dass das System nicht nur einmal eingespeiste Informationen verwaltet und zur Verfügung stellt, sondern vor allem, dass sie die während der Produktion eines Werkstücks an der Maschine anfallenden Daten sammelt. Durch die Datenrückführung ergibt sich ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess quasi in the loop.“
Von der EMO Hannover 2017 erwartet der TDM-Geschäftsführer vor allem die Darstellung der Themen Digitalisierung und Vernetzung: „Das war schon immer unsere Kernkompetenz, lange vor den Zeiten von Industrie 4.0. Mit dieser neuen Ära vervielfältigen sich nun auch die Möglichkeiten von Tool Lifecycle Management.“ Die Vernetzung – und damit das TLM – höre nicht mehr am Tor der Werkshalle auf. Modernes TLM bedeute Transparenz und Zusammenarbeit über Werks-, Standort- und Ländergrenzen hinweg, mit kurzen Antwortzeiten und mobiler Nutzung. Peter Schneck: „Wir folgen natürlich auch dem vorherrschenden Trend, Daten und Lösungen über und in der Cloud verwalten zu können und verfügbar zu machen. So liegt auch die Zukunft des TLM in der Cloud.“