Höchstfeste Werkstoffe sind nicht nur im Flugzeug- und Automobilbau, sondern auch im Maschinenbau sehr beliebt, weil sie oft vergleichsweise leicht und zugleich sehr stabil sind. Werkzeugmaschinen stoßen jedoch beim Zerspanen dieser Materialien nicht selten an ihre physikalischen Grenzen. Abhilfe bieten Maschinenstrukturteile aus leichten Faserverbundwerkstoffen. Welche schwierigen Klippen dabei zu bewältigen sind, zeigt der Einblick in ein noch nicht abgeschlossenes Forschungsprojekt des Aachener Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnologie IPT, das auch auf der EMO Hannover präsentiert wird.
CFK statt Stahl sorgt für mehr Dynamik
Die Aachener gehen beim Optimieren von Konstruktionen üblicherweise ganzheitlich vor. Das heißt: Die Konstruktion der gesamten Maschine steht im Blickfeld der Wissenschaftler, also auch die Entwicklung wichtiger Antriebselemente der Werkzeugmaschine. Aktuell untersuchen die Aachener Forscher gemeinsam mit einem Werkzeugmaschinenhersteller aus Magdeburg, wie sich eine neuartige Maschinenkomponente für senkrechte Bewegungen (Z-Achse) aus Kohlefaserverbundkunststoff (CFK) in einer Werkzeugmaschine verhält und wie sich der Z-Schlitten optimieren lässt.
„Mit der Entwicklung des CFK-Schlittens starteten wir 2013“, erzählt Christoph Tischmann, Niederlassungsleiter der MAP Werkzeugmaschinen GmbH aus Magdeburg. „Wir verfügen bereits über viel Erfahrung mit Linear- und Rundachsen, etwa zum Bearbeiten von Aluminium. Doch für hochfeste Werkstoffe wie die Titanlegierung Inconel besitzen sie nicht die nötige Antriebsleistung.“ Daher entschied sich MAP zur Entwicklung einer Werkzeugmaschine mit sehr starken Antrieben: So kommen nun 55- und 72-Kilowatt-Spindeln (Drehmoment 210 bzw. 273 Newtonmeter im S1- bzw. S6-Betrieb) zum Einsatz, die deutlich schwerer und größer ausfallen. „Um bei der Dynamik keine Abstriche zu machen, suchten wir nach einer Möglichkeit, das größere Gewicht zu kompensieren“, erklärt Tisch-mann. „Daher entschieden wir uns für die CFK-Variante.“ Zum Vergleich: Vorher arbeitete die Werkzeugmaschine in der Z-Achse mit Spindeln mit einer Leistung von 28 bis 36 Kilowatt.
Es handelt sich also in etwa um eine Verdoppelung der Antriebsleistung. Gleichzeitig sinkt durch den Einsatz von CFK die Masse gegenüber einer aus Stahl hergestellten Achse um rund 60 Prozent. „Wir wollen aber kein bestimmtes Zielgewicht erreichen, sondern streben ein optimales Verhältnis zwischen Gewicht und Steifigkeit an“, erklärt der wissenschaftliche Mitarbeiter Filippos Tzanetos vom Fraunhofer IPT.
Denn es stellt sich die Frage, wie sich der Wechsel von einem Stahlführungsschlitten zu einer CFK-Konstruktion mit einem rund doppelt so schweren Antrieb auf die Gesamtkonstruktion auswirkt. Das Fraunhofer IPT hat dazu die thermischen und dynamischen Reaktionen der gesamten Maschine auf den Z-Führungsschlitten analysiert. „Die Maschine wurde auf Herz und Nieren geprüft“, berichtet Tischmann. „Anhand dieser Messungen entstanden mehrere Lösungsansätze, um die Konstruktion zu verbessern.“
Gesamte Konstruktion wird an neuen Werkstoff angepasst
Weil sich Werkstoffe nicht einfach eins zu eins ersetzen lassen, gilt es, die Konstruktion an das neue Material anzupassen. Hier hat sich in der Praxis die so genannten Finite-Elemente-Simulation bewährt. „Wir sehen uns im Detail auf dem Computer die lokalen Stellen der Konstruktion mit der größten Nachgiebigkeit an, um die Ursachen zu ermitteln“, erklärt Tzanetos. „Anschließend versuchen wir, einige bisherige Komponenten durch Bauteile aus Aluminium oder CFK zu ersetzen oder das dynamische Verhalten an bestimmten kritischen Stellen durch Versteifungen oder Rippen zu verbessern.“
Die Arbeit mit CFK ist für Konstrukteure eine besondere Herausforderung, denn der Werkstoff verhält sich anisotrop: Laut Definition beschreibt die Anisotropie die Richtungsabhängigkeit einer Eigenschaft oder eines Vorgangs. Das heißt, bei Faserwerkstoffen hängt die Steifigkeit oder Festigkeit von der Richtung der Fasern ab. Ein CFK-Bauteil verhält sich jedoch beim Simulieren anders als in der Wirklichkeit. Tzanetos nennt die Details für Fachleute: „Die Aussagekraft der Simulation wird mit der Unsicherheitsfortpflanzung nach DIN ISO 21748:2014-05 geschätzt. Die Unsicherheit der Parameter des Modells hat einen gewissen Einfluss auf die Unsicherheit der Ausgangsvariablen des Modells. Dieser wird mit der Monte Carlo-Simulation errechnet.“
Hilfestellung erhält das Fraunhofer-Institut bei derartigen Projekten oft von anderen Instituten oder Spinn-offs, doch in diesem Fall fanden die Wissenschaftler Unterstützung im eigenen Haus. „In unserem Institut gibt es die Abteilung für Faserverbund- und Lasersystemtechnik“, berichtet Tzanetos. „Diese Abteilung hat über viele Jahre hinweg Kompetenzen im Bereich der Auslegung von Werkzeugmaschinenkomponenten aus Faserverbundkunststoffen (FVK) aufgebaut und steht uns bei der Projektbearbeitung durch vorhandenes Simulations-Know-how für Faserverbundbauteilauslegung tatkräftig zur Seite.“
Kompetenzen zu bündeln, sichert den Erfolg
Eine derartige Unterstützung ist für die Lösung von Fragestellungen im Bereich der Verwendung von FVK-Komponenten im Maschinen- und Anlagenbau unumgänglich, da diese Werkstoffe aufgrund ihrer anisotropen Eigenschaften hier eher selten Anwendung finden. „Bislang besteht diese vornehme Zurückhaltung gegenüber des FVK-Einsatzes, weil anders als bei konventionellen Werkstoffen nicht auf existierende Konstruktions- und Auslegungsstandards zurückgegriffen und daher nicht ohne weiteres eine Vorhersage getroffen werden kann, wie sich ein FVK-Bauteil im Zusammenspiel mit der restlichen Maschinenstruktur dynamisch verhält“, erklärt der Aachener Wissenschaftler. „Fehler entstehen, wenn ein Bauteil zum Beispiel nur auf die Steifigkeit in eine Achsrichtung ausgelegt wird, jedoch die Steifigkeit in den weiteren Achsrichtungen unberücksichtigt bleibt. Wenn wir aber mit Simulationstools sowohl FVK-Komponente als auch die Werkzeugmaschinendynamik fein aufeinander abstimmen, kann nichts schiefgehen. Zur Lösung der Problemstellung werden daher die notwendigen Kompetenzen innerhalb dieses Projekts in unserem Hause vereint.“
Lasern statt Kleben
Kritisch ist auch das Verbinden von CFK mit Metallen. Bisher kam hier ein Klebeverfahren zum Einsatz, das allerdings laut Tzanetos vier Nachteile aufweist:
1. Die CFK-Fläche muss mechanisch bearbeitet werden. Dies führt zu Unstetigkeit und Schwächung der CFK-Eigenschaften.
2. Es garantiert nur eine niedrige Festigkeit (pro Fuge: 10 bis 40 Megapascal).
3. Es hängt stark ab von den Umgebungsbedingungen (z.B. Temperatur, Verunreinigungen, Späne, Kühlschmierstoff).
4. Geklebte Verbindungen besitzen eine niedrige Verschleißfestigkeit.
Alle diese Nachteile behebt ein Laserverfahren. Doch nicht nur die Verbindungstechnik sieht der MAP-Niederlassungsleiter als problematisch an. „Um die exakten Positionier- und Wiederholgenauigkeiten der Maschine auch bei hoher Dynamik zu gewährleisten, schaben wir u.a. die Auflagen der Linearführungen manuell ab“, sagt Tischmann. „Es ist für uns nun eine enorme Herausforderung, das auch bei CFK hinzubekommen.“
Trotz aller Schwierigkeiten habe sich der Wechsel zu CFK gelohnt, meint der Experte mit Blick auf die EMO Hannover. Der Werkzeugmaschinenhersteller denkt an einen gemeinsamen Infostand mit dem Fraunhofer IPT, um die Fortschritte und Vorgehensweisen mit diesem „neuen Werkstoff“ vorzustellen. „Prinzipiell möchten wir am Ende dieses Projektes eine dynamische, präzise und vor allem kraftvolle Maschine auf den Markt bringen“, erklärt Tischmann. „Diese soll sich speziell im Aerospace-Bereich etablieren.“
EMO Hannover inspiriert auch die Wissenschaft
Auch der IPT-Wissenschaftler sieht Kooperationsprojekte wie das mit der MAP Werkzeugmaschinen GmbH als eine gute Möglichkeit, um im Austausch mit der Industrie neue Wege zu gehen. Das aktuell noch laufende Projekt hat den Aachenern Mut gemacht, mit Industriepartnern in Sachen CFK weiter voranzugehen. Weiterführende Anregungen zu vergleichbaren Werkstoff-Fragen und zum Leichtbau erhalten Tzanetos und Kollegen aus der Wissenschaft im September auf der EMO Hannover.
Profile
Fraunhofer IPT, Aachen
Das Institut erarbeitet Systemlösungen für die vernetzte, adaptive Produktion. Die Auftraggeber und Kooperationspartner kommen aus der gesamten produzierenden Industrie – aus der Luft- und Raumfahrttechnik, dem Automobilbau und seinen Zulieferern, dabei vor allem aus dem Werkzeug- und Formenbau, der feinmechanischen und optischen Industrie, aber auch aus den Life Sciences und vielen anderen Branchen. Betriebshaushalt 2016: rund 27,9 Mio. Euro; Mitarbeiter: 450
MAP Werkzeugmaschinen GmbH, Magdeburg
Im Jahre 1995 wurde die MAP von Know-how-Trägern der ehemaligen Fritz Werner Werkzeugmaschinen GmbH gegründet. Aktuell werden bei MAP die Bereiche Konstruktion, sowohl elektrisch als auch mechanisch, Fertigung, Service und Spindelservice abgedeckt. Zusätzlich entstehen Synergieeffekte durch den Vertriebspartner Lerinc Werkzeugmaschinen & Automation GmbH aus Heiligenhaus, der sowohl den Vertrieb als auch die administrative Verwaltung abbildet. Die heutige MAP Werkzeugmaschinen GmbH zeichnet sich nicht nur durch Know-how und fachliche Kompetenz in den genannten Bereichen aus, sondern auch durch viele Jahre intensiver Branchenerfahrung im Maschinenbau und in der Zerspanungsindustrie. Daher gibt es mittlerweile auch ein namhaftes Kundenspektrum, u.a. in der Automobil- und Aerospace-Branche. Mitarbeiter: 16
Autor: Nikolaus Fecht, Fachjournalist aus Gelsenkirchen