Entwickler, Zulieferer und Hersteller im direkten Dialog mit den Anwendern von Medizintechnik
„Medizinprodukte müssen besser werden. Sie sind häufig nicht ausreichend kompakt, nicht flexibel genug, nicht sinnvoll in den Betriebsablauf auf den Stationen zu integrieren“, schrieb kürzlich ein auf die Entwicklung von Medizintechnik fokussiertes Fachmagazin zum Konflikt zwischen Herstellern und Anwendern. „Die Mängelliste der Anwender von Medizintechnik ist offenbar lang“, konstatiert Peter Reinhardt, Chefredakteur von DeviceMed. Genau dieser Herausforderung, den Dialog zwischen Herstellern, Entwicklern und den Abnehmern von medizintechnischen Systemen und Produkten voranzutreiben, widmete sich das diesjährige COMPAMED Innovationsforum. Das traditionelle Forum gibt stets mit ein paar Monaten Vorlauf einen ersten Ausblick auf Themen und Trends der international führenden Fachmesse für die Zulieferer der Medizintechnik-Industrie, die COMPAMED in Düsseldorf (Termin 2019: 18. – 21. November, parallel zur MEDICA 2019). Es wird gemeinsam organisiert von der Messe Düsseldorf und dem IVAM Fachverband für Mikrotechnik. Gastgeber für das Forum, das unter dem Motto „Praxis meets Technology – Hightech in Krankenhäusern“ stand, war am 10. Juli das Helios Klinikum Krefeld.
Im Helios-Verbund zählt dieses Klinikum als Einrichtung der Maximalversorgung mit über 30 Fachabteilungen zu den großen Häusern. Es verfügt über 2.350 Mitarbeiter, die in 1.100 Betten 60.000 Patienten stationär und 120.000 Patienten zusätzlich ambulant pro Jahr versorgen. „Schon erste einleitende Diskussionen des Forums haben gezeigt, dass insbesondere Hightech-Medizintechnik viel zu oft am realen Bedarf des Fachpersonals vorbeientwickelt wird“, erklärt Dr. Thomas R. Dietrich, Geschäftsführer des IVAM.
Auch vor diesem Hintergrund geht Helios neue Wege – so ist das Unternehmen nicht nur ein wichtiger Anwender für Medizintechnik, sondern unterstützt durch das konzerneigene `Center for Research and Innovation´ (HCRI) in Wuppertal und Berlin auch selbst zukunftsorientierte Entwicklungen in den Bereichen Gesundheit und Medizin. Im Mittelpunkt stehen Lösungen, die noch nicht am Markt verfügbar sind, und Pilotprojekte für Kliniken und Forschungseinrichtungen. „Ziel unserer Tätigkeit ist es, die medizinische Versorgungsqualität zu verbessern, den Klinikprozess zu optimieren, die Attraktivität als Arbeitgeber zu erhöhen und die Effizienz im Gesundheitswesen zu steigern“, erklärt Maren Christina Geissler, Leiterin des Helios Innovations- und Forschungsdepartments in Wuppertal. Ein wichtiges Vorhaben ist das das europäische Verbundprojekt STARS-PCP, das Anfang 2017 gestartet wurde und an dem Helios beteiligt ist, fünf Jahre Laufzeit hat und im Horizon-Programm der EU mit gut 3,2 Millionen Euro gefördert wird. STARS soll neue personalisierte eHealth-Lösungen entwickeln, um den Stress im Zusammenhang mit medizinischen Eingriffen zu reduzieren. Der Stressabbau verringert die schädlichen Nebenwirkungen von Beruhigungsmitteln, verkürzt den Krankenhausaufenthalt und die Erholungszeit. Zugleich werden Pflegekräfte und verwandte Personen von kontinuierlicher Hilfe entlastet.
Sprachassistenz im Krankenhaus gewinnt an Bedeutung
Die Digitalisierung des Krankenhauses ist in vollem Gange, aber sie ist noch keine durchgängige Erfolgsstory. Innerhalb des Helios-Konzerns sieht sich das Klinikum Krefeld aber in diesem Sektor schon gut aufgestellt: So ist die digitale Patientenakte in fast allen Bereichen bereits seit 2013 etabliert. „In Zukunft wollen wir dem Thema Sprachassistenz für Arztbriefe und Aktenführung noch mehr Bedeutung beimessen“, berichtet Franziska Niederschelp, Assistentin der Geschäftsführung am Klinikum Krefeld. Die Einführung der Spracherkennung wird im ganzen Haus vorangetrieben. Dabei soll in einem Pilotprojekt `Single-Sign-on´ (SSO) genutzt werden. Das Verfahren der Einmalanmeldung ermöglicht es, über einen einzigen Authentifizierungsprozess Zugriff auf Services, Applikationen oder Ressourcen zu erhalten. SSO ersetzt einzelne Anmeldeverfahren mit verschiedenen Userdaten und nutzt eine übergreifende Identität des Anwenders. SSO soll verhindern, dass Anwender für die Vielzahl verschiedener Applikationen und Services unterschiedliche Kennungen und Passwörter einrichten und kennen müssen, was den Krankenhausbetrieb eher erschweren würde. Ein zusätzlicher Schwerpunkt liegt in der automatisierten Bündelung und digitalen Zusammenführung von Patientendaten aus Medizingeräten, Laboruntersuchungen und den verschiedenen Stationen.
Sensoren gebührt eine Schlüsselrolle
Voraussetzung für viele neue Entwicklungen in der Medizintechnik und auch für die Digitalisierung des Gesundheitswesens sind Sensoren, die bei der COMPAMED schon seit langem eine wichtige Rolle spielen und in der zweiten Session des Innovationsforums in Krefeld intensiv thematisiert wurden. So hat das Centre Suisse d’Electronique et de Microtechnique (CSEM) ein optisches Verfahren zur kontinuierlichen, zuverlässigen Kontrolle des Blutdrucks entwickelt. Erhöhter Blutdruck betrifft ein Drittel der älteren Bevölkerung und kann zu schweren Komplikationen wie beispielsweise Schlaganfall oder Herzinsuffizienz führen. Nach zehnjähriger Forschungsarbeit und fünfjähriger klinischen Erprobung bietet das CSEM unter der Marke `oBPM´ (Optical Blood Pressure Monitoring) ein tragbares Messgerät ohne Manschette an, das den Blutdruck im Ruhe- oder Bewegungszustand mit höchster Qualität misst. Das Produktekonzept der oBPM-Messmethode beruht auf der physiologischen Analyse der am Finger gemessenen photoplethyschen Signale (PPG-Signale). Diese Signale werden mit einem handelsüblichen Pulsoximeter aufgezeichnet. Einen ersten experimentellen Nachweis für die kontinuierliche Überwachung des Blutdrucks mittels optischer Signale erfolgte während einer klinischen Studie am Universitätsspital in Lausanne. Die Anwendung ist mit Hilfe eines handelsüblichen Smartphones und einer entsprechenden App möglich, wobei das Licht der Handy-Kamera zum Einsatz kommt. „Inzwischen haben wir das Startup „aktiia“ gegründet, um die oBPM-Technologie zu nutzen und ein Armband zu vermarkten, das die wertvollen Daten sammelt und an ein Smartphone überträgt“, erläutert Dr. Alexander Steinecker, Business Development Manager am CSEM.
Einwegsensoren für intelligente Wundauflagen
Die Anforderungen an Sensoren steigen ständig, nach Überzeugung der InnoME müssen sie dünn, flexibel und formbar, einfach zu integrieren und körpernah einsetzbar sein. „Konventionelle Sensorik ist für medizinische Anwendungen nur begrenzt geeignet, weil sie nicht wirtschaftlich ist, keine Designfreiheit bietet sowie eine mangelhafte Umweltverträglichkeit und unzureichende Integrierbarkeit aufweist. Unsere Antwort auf diese Unzulänglichkeiten sind folienbasierte, gedruckte und/ oder hybride Sensoren“, betont Eike Kottkamp, Geschäftsführer der InnoME. Das Unternehmen bietet Einwegsensoren in Massenproduktion oder für einzelne Produkte an. Die meisten werden im Siebdruck hergestellt, alternativ sind Rolle-zu-Rolle-Verfahren möglich. Bei Stückzahlen von einer Million sind Preise im Bereich 12 Cent realisierbar. Anwendungen sind intelligente Druckverbände und Wundauflagen, die eine Wundüberwachung ohne Verbandöffnung zulassen, oder Abfall-Beutel für Körperflüssigkeiten wie Blut, Urin, Schweiß und Dialysat, die eine In-vitro-Überwachung des Patienten erlauben. Als Messgrößen kommen u. a. der pH-Wert, Leitfähigkeit und Temperatur in Frage.
Auch das Fraunhofer-Institut für Mikroelektronische Schaltungen und Systeme (IMS) forscht und entwickelt im Bereich der Sensorik für die Medizintechnik. „Unser Markenkern sind CMOS-Schaltungen, die wir zu Mikrosystemen erweitern“, beschreibt Michael Görtz vom IMS. In der Medizintechnik ist das Messen von Druck im Blut, im Hirn oder im Auge besonders relevant. Schnell, einfach und unkompliziert ist das Sensorsystem EYEMATE, das gemeinsam vom IMS und Implandata Ophthalmic Products entwickelt wurde und die Augeninnendruckmessung verbessert. In Zukunft soll EYEMATE Glaukom-Patienten das Leben erleichtern. Das Implantat ermöglicht die optimale Therapie bei Patienten, die von der Augenkrankheit Grüner Star betroffen sind. In unserem Auge findet ein ständiger Austausch von Kammerwasser statt – neues wird produziert und altes abgegeben. Wenn die Menge des neu produzierten Kammerwassers jedoch größer ist als die des abfließenden Wassers, steigt der Augeninnendruck und es kann zu irreversiblen Schädigungen bis hin zum Absterben des Sehnervs kommen. „Mit EYEMATE haben wir ein Mikrosensorsystem geschaffen, mit dem Betroffene selber eine berührungslose Druckmessung im Auge durchführen können“, berichtet Michael Görtz vom IMS. Ein ins Auge implantierter Sensor misst dabei den Druck sowie die Temperatur. Die Werte werden mit einem Handlesegerät, das der Patient einfach vor sein Auge hält, erfasst, digitalisiert und wiedergegeben. Innerhalb von Sekunden lassen sich so zu jeder Zeit berührungslos Druck und Temperatur im Auge genau messen. Die behandelnden Ärzte erhalten dadurch eine um ein Vielfaches höhere Datenbasis zum Erstellen der richtigen Therapie. Darüber hinaus haben Betroffene die Möglichkeit, über eine Smartphone-App direkt auf die Daten zuzugreifen, den Verlauf des Augeninnendrucks selbst zu verfolgen und gegebenenfalls zu reagieren, wenn ein zu hoher Druck vorliegt. Je häufiger der Patient das Lesegerät benutzt, desto aussagekräftiger sind die Messwerte und desto individueller kann die Therapie abgestimmt werden.
Neue Lösungen für Hausnotruf und Raumüberwachung
Ein großes Thema angesichts der immer älter werdenden Bevölkerung ist auch ein sicheres, gesundes Leben möglichst in den eigenen vier Wänden. Die Möglichkeiten dafür werden dank des technischen Fortschritts immer besser. Eine Ausgründung aus dem Forschungszentrum Informatik (FZI) mit der Bezeichnung easierLife hat ein smartes Hausnotrufsystem aufgebaut, das Sicherheit ohne Knopf generieren soll. „Bei herkömmlichen Systemen tragen nur 13 Prozent den Funksender ganztätig, 27 Prozent tragen ihn gar nicht und nur 17 Prozent aktivieren ihn, wenn sie gestürzt sind“, stellt Annette Hoppe vom FIZ fest. easierLife HOME erfasst sensorbasiert alltägliche Aktivitäten, nimmt eine intelligente Auswertung ungewöhnlicher Situationen vor und startet eine individuelle Alarmierung per App oder Notrufzentrale. Durch die automatische Alarmierung bei Auffälligkeiten ist das System auch für Demenzerkrankte geeignet. Das „Normalverhalten“ lässt sich für jeden Nutzer einzeln einstellen, die Informationsdichte anpassen. In Zukunft wird das System zudem individuelle tagesabhängige Gewohnheiten selbstständig erlernen.
Eine intelligente Raumüberwachung strebt auch das Technologieunternehmen nevisq an, das dafür ein Sensorband in Fußleisten entwickelt hat. Es erkennt Personen, Objekte und Bewegungen in Räumen, bei der Auswertung der Daten hilft künstliche Intelligenz. „Wir setzen aktives Infrarot ein, um die Fläche über dem Boden abzuscannen“, erklärt Christian Kind, Geschäftsführer Business Development & Finance von nevisq. Die smarten Fußleisten sind eine kostengünstige Alternative zu bereits verfügbaren Technologien wie Bodensensoren oder am Körper getragene Geräte. Die Fußleisten erkennen nicht nur Stürze, sondern setzen auch Alarmmeldungen beim Verlassen des Bettes oder des Raumes ab. „Hirn“ des Sensorbandes ist ein Minicomputer, der die Sensordaten lokal verarbeitet, die Aktivitäten analysiert und als Schnittstelle zur Lichtrufanlage fungiert. „Im Fokus unserer Aktivitäten stehen zunächst Pflegeeinrichtungen, Potenzial sehen wir aber auch im Smart Home-Anwendungen“, so Kind.
Fazit des COMPAMED Innovationsforums: Das Konzept, Entwickler, Hersteller und Anwender an einen Tisch zu bringen, trägt Früchte. Das belegen die regen und anregenden Diskussionen zwischen den Vorträgen. Dieser Austausch lässt sich in der Folge fortführen und vertiefen bei der COMPAMED 2019 in Düsseldorf, der internationalen Nr. 1-Plattform für die Zulieferer der Medizintechnik-Industrie.
Informationen zur COMPAMED 2019 online: https://www.compamed.de.
Autorenhinweis: Klaus Jopp, freier Wissenschaftsautor (Hamburg)
Bild & Text: medica.de