Werkzeuge für die Zukunft gerüstet
Präzisionswerkzeugehersteller zeigen neue Lösungen für neue Werkstoffe und leisten ihren Beitrag zur Digitalisierung
Die AMB startet mit neuen Rekorden. 15.000 Quadratmeter mehr Fläche durch die neue Paul-Horn-Halle (Halle 10) ergeben insgesamt 120.000 Brutto-Quadratmeter und Platz für jetzt über 1.500 Aussteller. Sie erwarten rund 90.000 internationale Fachbesucher in den Bereichen spanende und abtragende Werkzeugmaschinen, Präzisionswerkzeuge, Messtechnik und Qualitätssicherung, Roboter, Werkstück- und Werkzeughandhabungstechnik, Industrial Software & Engineering, Bauteile, Baugruppen und Zubehör. Mit der Messeerweiterung belegen die Hersteller von Bearbeitungswerkzeugen und Spannzeugen die benachbarten Hallen 1 und 3 und sind nicht mehr durch den Eingang Ost und das Atrium getrennt.
Der allgemeine Trend lautet Digitalisierung. Das spiegelt sich auch im Messeprogramm wider. Erstmals findet, neben den bereits etablierten Rahmenveranstaltungen, die Sonderschau „Digital Way“ mit angeschlossenem zweitägigen Kongress am 18. und 19. September statt. Sie informiert auch anhand der Showcases – Elabo Smart Factory und der Gewatec Lernfabrik – wie Industrieunternehmen mithilfe aktueller Informationstechnologie die Potenziale der Digitalisierung nutzen können.
Voller Optimismus nach Stuttgart
Präzisionswerkzeuge aus Deutschland sind weltweit gefragt. Oft sind es familiengeführte kleine und mittelständische Unternehmen, die mit ihren innovativen Produkten die Branche vorantreiben. Erstmals wurde 2017 die Zehn-Milliarden-Euro-Marke beim Umsatzvolumen deutlich überschritten. Markus Heseding, Geschäftsführer des Branchenverbands Präzisionswerkzeuge im VDMA Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau, erläutert: „Alle wichtigen Kennzahlen der Präzisionswerkzeuge, von Auftragseingang über die Produktion bis zum Export, lagen 2017 deutlich über den entsprechenden Vergleichswerten des Vorjahres.“ So legten die Zerspanwerkzeuge beim Umsatz um sieben Prozent zu, die Spannmittel erreichten sogar ein Plus von neun Prozent.
Dabei konnte sich die exportträchtige Branche mit zwölf Prozent Plus erneut aufs Ausland verlassen – vor allem dank der beiden großen Kundenbranchen Maschinenbau und Automobil. Haupttreiber war China, aber auch die USA trugen trotz protektionistischen Anwandlungen kräftig zum Export der Präzisionswerkzeuge bei. Der Export war auch für die Spannzeuge der Wachstumstreiber, vor allem Lieferungen nach China, die um über ein Drittel zulegten.
Entsprechend positiv gestimmt, trotz aller Risiken und Ungewissheiten, blickt die Branche nach Stuttgart. Heseding: „Die Lage der deutschen Werkzeugindustrie ist in den ersten Monaten 2018 weiter auf Rekordniveau.“ Der Fachverband erwarte für das laufende Jahr ein neuerliches Plus von sieben Prozent bei den Zerspanwerkzeugen und acht Prozent bei den Spannzeugen. Grund: „Viele Kunden arbeiten an der Kapazitätsgrenze und suchen Werkzeugkonzepte mit denen sie die Produktivität erhöhen können. Die AMB, als Schaufenster solcher Konzepte, kommt damit zum perfekten Zeitpunkt.“
Neue Herausforderungen durch E-Mobilität und Leichtbau
Die Nachfrage nach neuen Werkzeugkonzepten ist nicht trotz, sondern sogar wegen der aufkommenden Elektromobilität gewachsen, wie der Verbandschef erklärt: „In der Automobilindustrie ist neben der Stückzahlentwicklung auch der Wandel zu hocheffizienten Motoren und Hybridkonzepten ein wesentlicher Wachstumstreiber geworden.“ Das bestätigt Reiner Wendt, Verkaufsleiter Süddeutschland beim Zerspanungsspezialisten Paul Horn: Zwar reduziere „reine Elektromobilität die zu zerspanenden Bauteile, Hybridantriebe erhöhen den Anteil der zu zerspanenden Bauteile hingegen.“
Andreas Enzenbach, Vice President Marketing and Product Management bei Mapal Dr. Kress, sieht durch neue Bauteile in vollelektrifizierten Fahrzeugen oder solchen mit Hybridantrieb „neue Herausforderungen für die zerspanende Industrie; bei der Bearbeitung der Gehäuse für Elektromotoren ist aufgrund der hohen Drehzahlen höchste Präzision bei der Bearbeitung gefordert“.
E-Mobile benötigen zumindest teilweise auch andere Komponenten als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren. So würden laut Markus Kannwischer, Leiter Technik und Mitglied der Geschäftsleitung bei Paul Horn, beispielsweise hochpräzise Steckverbindungen, neue Getriebekomponenten, Elektromotoren und Elemente im Bereich der Kühlung benötigt. Obwohl E-Mobilität fast schon zwangsläufig Leichtbau voraussetzt, glaubt Kannwischer jedoch nicht an einen weiteren Anstieg des Einsatzes von CFK und GFK. Dafür hätten warmumgeformte Stähle deutlich aufgeholt.
Generell führt der Leichtbau zu einer Vielzahl von neuen Werkstoffen, die sich wirtschaftlich sinnvoll nur mit angepassten Werkzeugen bearbeiten lassen. Kannwischer nennt Beispiele: „Der Einsatz von Nano-Hartmetallen zur Zerspanung von hochwarmfesten Legierungen oder neue Entwicklungen im Bereich der Beschichtungen und der Bearbeitungsverfahren.“
Von solchen Leichtbaukonzepten profitieren auch Werkzeugmaschinen und Werkzeuge selbst. So werden Reibwerkzeuge mit langen Auskragungen schon teilweise mit CFK-Schäften ausgelegt.
Weitere Methoden, um Werkzeuge abzuspecken, sind der Einsatz von Komponenten aus Leichtbauwerkstoffen wie Titan, Aluminium und CFK oder Schweißkonstruktionen und die additive Fertigung. Andreas Enzenbach: „Die Gründe für den Einsatz von Leichtbauwerkzeugen sind Maschinenanforderungen aufgrund von Drehzahl, maximalem Werkzeugwechselgewicht, Spindelnachgiebigkeit und der verbesserten Achs- und Spindeldynamik. Bei Außenreibahlen in Pendelhaltern ist die Motivation die verbesserte Werkstückqualität.“
Werkzeuge und Spannmittel werden digital
Digitalisierung sieht Dr. Niklas Kramer, Product & Industry Segment Director bei Sandvik Tooling Deutschland, als Möglichkeit, „unseren Kunden Anwendungswissen direkt und zielgerichtet zur Verfügung zu stellen.“ Noch sei jedoch unklar, über welche Wege und Plattformen die Informationen den Kunden am besten erreichen. Voraussetzung für eine gute Beratung sei in jedem Fall die genaue Kenntnis des Ausgangszustand; „konkrete Kontextdaten aus der Werkzeugmaschine sind da ein riesiger Schritt, und je einfacher und einheitlicher sie uns zur Verfügung stehen, desto größer der Anwendernutzen“.
Eine wichtige Rolle der Werkzeugspezialisten bei Digitalisierung und Automatisierung in der Metallbearbeitung sieht Markus Horn, Geschäftsführer von Paul Horn: „Wir sehen den meisten Nutzen in der Digitalisierung von Werkzeugdaten und der nahtlosen Anbindung eines Werkzeuges in die Prozesskette. Der digitale Zwilling ist die Basis für Produktivitätssteigerungen, wie beispielsweise die oft nachgefragte Simulation von Dreh- und Fräsprozessen.“
Ihren Beitrag leisten auch die Spannmittelhersteller. „Wir müssen den kompletten Bearbeitungsprozess betrachten, denn nur so lassen sich unnötige Aufspannungen und Rüstzeiten eliminieren“, ist Stefan Nitsche, Leiter Produktmanagement bei Hainbuch, überzeugt.
Ein möglicher Weg: das „intelligente Spannmittel“. So lasse sich mit einem entsprechenden Spannfutter die Spannkraft, der Spanndurchmesser im Hundertstel-Millimeter-Bereich und die Werkstückanlage elektronisch erfassen und an die Maschinensteuerung übertragen. „Um das Spannsystem noch intelligenter und smarter zu gestalten, sehen wir die eigenständige Kompensation innerhalb des Spannmittels durch Aktorik.“ Damit ließen sich dann beispielsweise sogar Rundheitsfehler des Werkstücks im Bereich der Werkstückspannung intelligent ausgleichen.
Ein weiterer großer Spannmittelhersteller ist Schunk. Henrik Schunk, geschäftsführender Gesellschafter und CEO des Unternehmens, sieht speziell in Europa den „Trend zu Hightech-Spannmitteln und vernetzten, vollautomatisierten Lösungen, bei denen Spannmittel, Greifsysteme, Magazinierung und Beladesystem eine Einheit bilden“. Bei Digitalisierung und Vernetzung spielten die Spannmittel und Greifer aufgrund ihrer exponierten Position ‚closest to the part‘ eine besondere Rolle: „Sie ermöglichen eine Flexibilisierung der Prozesse sowie eine permanente Prozessüberwachung und -optimierung.“
Lesen Sie hierzu auch das exklusive Interview „Potenziale in der Peripherie“ mit Prof. Eberhard Abele, Leiter des Instituts für Produktionsmanagement, Technologie und Werkzeugmaschinen (PTW) der TU Darmstadt.
Bild & Text: messe-stuttgart.de/amb