Die Experten sind sich weitgehend einig: Auf absehbare Zeit wird die klassische Werkzeugmaschine die Fertigungshallen dominieren – trotz teilweise konkurrierender Technologien. Beispiel Additive Manufacturing (AM): Als Leiter Forschung + Technik beim VDW Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken hat Dr. Alexander Broos einen guten Überblick, der VDW hatte hierzu eine eigene interne Studie durchgeführt. Zwar werde sehr viel über additiv hergestellte Teile gesprochen, zahlenmäßig machten sie aber nach wie vor einen verschwindend geringen Anteil aus.
Auch AM braucht Zerspanung
Ohne mechanische Bearbeitung kommt auch AM nicht aus. „Die Bauteile müssen von der Grundplatte gelöst werden und bestimmte Oberflächengüten oder Funktionsflächen lassen sich nur mechanisch herstellen.“ Das sieht auch Axel Boi, Leiter der Produktplanung beim Werkzeugmaschinenhersteller Chiron, so: „Natürlich wird sich die Grenze hin zu größeren Stückzahlen verschieben, aber da heute bei allen 3D-Prozessen eine mechanische Bearbeitung der Funktionsflächen erforderlich ist, sehe ich hier mehr Chance als Risiko.“
Die Vorteile von AM-Verfahren liegen für Broos „überall dort, wo komplexe Teile in kleinen Stückzahlen oder sogar individualisiert gefertigt werden müssen, also beispielsweise im Formenbau oder der Medizintechnik“. Additiv hergestellte Bauteile erforderten jedoch auf jeden Fall eine ganz spezifische Betrachtung des Einzelfalls, um auch wirtschaftlich erfolgreich zu sein. „Eine solche Beurteilung ist jedoch deutlich anspruchsvoller als für konventionelle Dreh-/Fräs-Teile.“
Evolutionäre Anpassung statt Disruption
Die Gefahr einer Disruption sieht man auch beim Schweizer Werkzeugmaschinenhersteller Starrag nicht. „Es geht vielmehr um die evolutionäre Anpassung der Bearbeitungslösung im Gesamtkontext der Wertschöpfungskette“, ist Managing Director Dr. Marcus Otto überzeugt. Als Beispiel für einen solchen Evolutionsprozess verweist er auf die Bearbeitungszentren der Starrag-Marke Heckert. „Verfahren wie das Verzahnen, Schleifen, das Rührreibschweißen und selbstverständlich das Drehen sind auf unseren Maschinen bereits Alltag.“
Dr. Ömer Sahin Ganiyusufoglu berät seit einigen Jahren den chinesischen Werkzeugmaschinenhersteller SYMG, dem in Deutschland das Unternehmen Schiess gehört. Technologien wie Robotik oder AM würden seiner Meinung nach die Einsatzpotenziale der Werkzeugmaschine sogar erhöhen und das Produktportfolio ergänzen. So seien beispielsweise sinnvolle Einsatzfälle für AM neben dem Prototypenbau auch Reparaturen von Turbinenschaufeln.
Materialeffizienz und Formenfreiheit
Viele Aussteller der AMB haben die Potenziale der additiven Fertigung bereits als Geschäftsfeld entdeckt oder beschäftigen sich mittlerweile zumindest mit ihnen. Jürgen Förster, Mitglied der Geschäftsleitung beim Spannmittelhersteller AMF Andreas Maier, hat dabei die komplette Prozesskette der additiven Fertigung im Blick. Für ihn liegen die größten Vorteile in der hohen Effizienz bei teuren Werkstoffen und einer maximalen Freiheit beim Design der Bauteile. „Musterbau, Kleinserien, Ersatzteilfertigung, Leichtbau können flexibler ausgerichtet werden“, lautet sein Urteil. Mit einem speziellen Nullpunktspannsystem als Standardschnittstelle richtet sich AMF an den 3D-Druck sowie dessen Postprocessing: „Das senkt enorm die Rüstzeiten und macht auch die nachgelagerten Prozesse wie Reinigen, Sägen, Bearbeiten oder Messen effizienter und schneller.“
Konstruktive Freiheiten stellen auch für Dr. Dirk Sellmer, Vice President Research & Development bei Mapal Dr. Kress, den größten Vorteil von AM dar. Mapal nutzt ihn, um „Werkzeuge deutlich gewichtsärmer zu gestalten, beispielsweise durch innere Hohlräume. Die Kühlkanäle können optimal gestaltet werden“. Das geschieht jedoch überwiegend in Kombination mit konventioneller Fertigung. Damit ließen sich außerdem Produkte mit Funktionalitäten herstellen, die zuvor nicht denkbar waren. Bereits in Serie gefertigt wird ein besonders temperaturbeständiges Hydrodehnspannfutter ohne Lötstelle.
Aufbauen und Zerspanen in einer Maschine
Längst wachsen klassische Werkzeugmaschine und generative Fertigungsverfahren zusammen. Vorreiter war DMG Mori mit seinem Tochterunternehmen DMG Sauer Lasertec. Es kombiniert das Laserauftragschweißen mit einer 5-Achs-Fräsmaschine. Mittlerweile schlagen viele andere Maschinenhersteller ähnliche Wege ein. Beispiel Mazak: Zwei Maschinenfamilien kombinieren einen Laser-Schweißprozess für den Materialaufbau mit der 5-Achs-Bearbeitung. Ein Wire-Arc-Kopf erlaubt das Aufbringen verschiedenster Werkstoffe wie Edelstahl, Nickellegierungen und Kupfer. Das ermögliche beispielsweise eine Komplettbearbeitung hochkomplexer Teile unter Nutzung sowohl der spanabtragenden als auch der additiven Bearbeitungen innerhalb des gleichen Bearbeitungsprozesses, so der Hersteller.
Etwas anderer Meinung ist man bei Starrag. Dr. Marcus Otto sieht für die Maschinen seines Hauses keine sinnvolle Vermischung additiver Verfahren und der Zerspanung: „Wir fokussieren uns auf die Parallelisierung der erforderlichen Prozessschritte.“ Der Schlüssel zur Effizienzsteigerung liege deshalb in intelligenten Schnittstellen, die man derzeit entwickelt.
Roboter nur für Handling und Automatisierung …
Ein weiteres viel diskutiertes Thema mit Substitutionspotenzial ist die Robotik. Für einen erweiterten Robotereinsatz, der konkrete Bearbeitungsschritte ausführt, sieht Dr. Ganiyusufoglu von SYMG allerdings enge Grenzen: „Ab einem gewissen Punkt stoßen Roboter wegen ihrer zu geringen Steifigkeit an ihre Grenzen. Allenfalls einfache Prozesse wie Entgraten oder Beschriften traut Axel Boi von Chiron den Robotern zu, im Idealfall als Ergänzung einer Automation.
Das sieht Hansjörg Sannwald, Leiter Markt- und Produktmanagement CNC-Systeme bei Bosch Rexroth, genauso: „Sobald es um hohe Präzision geht, sind klassische Werkzeugmaschinen mit steifen Vorschubachsen aus heutiger Sicht im Vorteil.“ Roboter würden weiterhin ihre Stärken im Bereich Handling und Automatisierung haben. Damit Werkzeugmaschine und Roboter optimal zusammenarbeiten können, seien jedoch CNC-Steuerungen wie die Systemlösung MTX von Rexroth Voraussetzung: Sie beherrschen beide Welten und reduzieren so die Komplexität.
… oder doch auch zum Zerspanen?
Einen deutlichen Aufgabenzuwachs sieht hingegen Volker Wiedmaier, Fertigungsleiter International beim Präzisionswerkzeugehersteller Paul Horn: „Es werden mehr und mehr Nebentätigkeiten aus den Bearbeitungszentren an die Roboter abgegeben, um so die Bearbeitungszeit der Bauteile zu senken und die Nebenzeiten produktiv auszulasten.“ Jochen Ehmer vom Spannmittelhersteller Schunk ergänzt: „In jüngster Zeit werden Roboter vermehrt zur klassischen Zerspanung von Werkstoffen aus Metall eingesetzt.“ Ihre Stärken könnten sie insbesondere bei der Bearbeitung großer Werkstücke ausspielen, wo sie immer häufiger in einer Art mobiler Werkzeugmaschine eingesetzt würden. „Gerade im Zuge der Smart Factory gehen wir davon aus, dass die Robotik bei bearbeitenden Prozessen weiter an Bedeutung gewinnen wird, vor allem dort, wo ein hohes Maß an Flexibilität erforderlich ist.“
Neben klassischer Automatisierung setzt Starrag Roboter auch für Hilfsaufgaben ein. Marcus Otto: „Da das Handlungsfeld der Roboter immer größer wird, können wir in Einzelfällen die Zerspanung sinnvoll verschlanken und bieten unseren Kunden mittels parallellaufender Hilfsprozesse die notwendige Effizienzsteigerung.“
Jürgen Försters Fazit, das wohl so die meisten Branchenvertreter teilen können: „Die klassischen Werkzeugmaschinen werden sicher nicht aus den Fertigungsbetrieben verschwinden. Vielmehr wird eine effiziente Kombination der unterschiedlichen Fertigungsmethoden die Industriebetriebe voranbringen und wachsen lassen. Mit welchen Ideen und Innovationen, das wird die nächste AMB in Stuttgart zeigen.“
Quelle Text & Bild: www.messe-stuttgart.de